Die archäologischen Untersuchungen an der Nordseite des Naumburger Doms
Erste Ergebnisse nach dem Ende der Geländearbeit
Von Mai bis September 2022 wurde auf der Nordseite des Naumburger Doms vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt eine archäologische Forschungsgrabung durchgeführt. Angeregt wurde diese Untersuchung, um im Vorfeld der geplanten Umgestaltung des Domplatzes wichtige Erkenntnisse zu dessen Vorgeschichte zu erheben, nicht zuletzt um diese in die Planungen einfließen lassen zu können.
Die wissenschaftliche Zielstellung der Untersuchung lag in erster Linie darin, etwas Substanzielles zu der seit mehr als 100 Jahren umstrittenen Frage der Existenz einer Nordklausur am Dom beizutragen. Die Klausur des Domes befindet sich heute auf der Südseite der Kirche. Dort wurde sie seit der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts errichtet. An der Nordseite der Kirche verweisen die Reste angelegter Bögen am Seitenschiff und den angrenzenden Turmfassaden ebenfalls auf bauliche Aktivitäten aus der Zeit des Domneubaus nach etwa 1210, die die Errichtung einer Klausur zum Ziel gehabt haben könnten.
Archäologische Untersuchungen in den 60er Jahren durch die renommierten Kunsthistoriker Ernst Schubert und Gerhard Leopold erbrachten tatsächlich Hinweise auf den Westflügel einer Klausuranlage. Schon damals tendierten die Autoren dahin, diese Klausur eher dem frühromanischen Dombau zuzuordnen, mit dessen Bau unmittelbar nach der Verlegung des Bischofssitzes von Zeitz nach Naumburg im Jahr 1028 begonnen worden war.
Die Untersuchungsfläche der gegenwärtigen Untersuchung befand sich direkt vor dem Nordquerhaus des Doms. In diesem Querhausarm hatten die älteren Untersuchungen auch die Lage und die Breite des Querhauses des frühromanischen Vorgängerbaus nachgewiesen.
Tatsächlich kamen nach der Abtragung der oberen Erdschichten umfangreiche Mauerreste zu Tage. So zeigte sich ganz im Osten eine Nord-Süd-orientierte Mauer - genau in der Flucht des frühromanischen Querhauses -die durch den spätromanischen Domneubau gekappt worden war. Eine Entsprechung - ebenfalls in der Flucht des frühromanischen Doms und vom spätromanischen Domneubau gekappt - fand sich ganz an der westlichen Ecke des Querhauses. Eine bauzeitliche Zwischenwand verweist auf ein Gebäude genau in der Breite und in der Ausrichtung des frühromanischen Doms. Es konnte sicher geklärt werden, dass dieses Bauwerk mit der Errichtung des Domneubaus ab etwa 1210 abgebrochen und nicht wieder aufgebaut worden war.
Lediglich die Ostwand dieses unzweifelhaft als Klausurostflügel anzusprechenden Baus wurde wieder an den Domneubau angefügt, offensichtlich in der Absicht, auch die spätromanische Klausur wieder auf der Nordseite des Doms zu errichten, worauf ja nicht nur die angelegten Bögen am Seitenschiff, sondern auch ein vermauerter Durchgang in der Westfassade des Querhauses hindeuten.
Etwa drei Meter westlich des frühromanischen Klausurflügels wurde ein weiterer Mauerzug nachgewiesen, der genau parallel zu diesem verlief. Mit dieser Mauer wurde die Außenwand des Kreuzganges nachgewiesen. Im Mittelalter war der Kreuzgang jeder Klausuranlage ein bevorzugter Bestattungsplatz. Tatsächlich fanden sich in dem kleinen untersuchten Abschnitt die Reste von vier Steinkistengräbern, die alle in die Zeit vor etwa 1210 datiert werden können. Eines dieser Gräber hob sich durch seine exzellente Erhaltung und die Qualität seiner Ausführung von den anderen deutlich ab. Man hatte die Grabkammer aus sehr großen Kalksteinquadern errichtet und mit kleineren Steinen eine Kopfnische gemauert. Sogar die Abdeckung der Kammer mit großen Kalksteinplatten war noch fast vollständig erhalten.
Nach dem Abbruch des Ostflügels der Klausur - zumindest in dem untersuchten Bereich - wurde dieser nicht wieder aufgebaut und auch keine neuen Klausurbauten mehr fundamentiert. Offensichtlich entschloß man sich relativ am Ende des Prozesses des Domneubaus endgültig für eine Klausur auf der Südseite.
Im späten Mittelalter wurde zwischen alter Klausurostwand und Querhaus ein kleiner, fast quadratischer Raum angefügt, dessen Fußboden gegen die Oberfläche mindestens 1,20 m eingetieft worden war. In der Nordwestecke des Baus gab es einen sehr schmalen Zugang. Eine Deutung dieses Bauwerks als Ossuarium (Beinhaus) ist sehr wahrscheinlich, wenngleich sich keinerlei menschliche Skelettreste im Innenraum fanden. Vielleicht hatte man diese im 16. Jahrhundert auf den neu geschaffenen Domfriedhof überführt.
Nach der endgültigen Aufgabe der Idee der Wiedererrichtung der Domklausur auf der Nordseite der Kirche wurde der nun freie Platz sehr intensiv für Bestattungen genutzt. Bei der Untersuchung konnten mehr als 70 Gräber dokumentiert werden. In einigen Fällen - insbesondere bei Kindergräbern - hatte man mehrere Tote in einem einzigen Grab bestattet. In einem Fall hatten mindestens 7 Kinder in einer Grabgrube ihre letzte Ruhe gefunden.
Überschattet waren die Grabungen leider von einem Akt des Vandalismus, der sich insbesondere gegen die freigelegten sterblichen Überreste zu richten schien. Diesem Vorfall ist leider auch das erwähnte Kindergrab zum Opfer gefallen, noch bevor es vollständig untersucht werden konnte.
(von Holger Rode, Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt)
Bildunterschriften:
Bild 1
Die Grabungssituation vor dem Nordquerhaus des Domes am Beginn der Untersuchungen. Rechts ist die Ostwand des Klausurostflügels zu erkennen. Bereits in den oberen Bodenschichten gab es zahlreiche Bestattungen.
Bild 2
Die Westwand des Klausurostflügels hatte sich nur als kleiner Rest erhalten, der vom Fundament des spätromanischen Domes (im Hintergrund) geschnitten wird.
Bild 3
Nach der Aufgabe der Klausur im Norden fanden hier über den Resten der alten Bebauung zahlreiche Menschen ihre letzte Ruhe. In der linken unteren Ecke die Bestattung eines Erwachsenen zusammen mit zwei Kindern.
Bild 4
Die Bestattungen lagen in mehreren Schichten dicht übereinander und ihre Grabgruben schnitten die Fundamente der aufgegebenen Bebauung. Hier zeigt sich bereits die Kopfnische eines Steinkistengrabes. Darüber hatte man menschliche Knochen deponiert, die beim Ausheben der Grabgruben angefallen waren.
Bild 5
Im frühromanischen Kreuzgang liegen Steinkistengräber dicht an dicht. Das Grab in der Bildmitte war aus besonders großen Steinen sehr sorgfältig mit Kalkmörtel errichtet worden. Es besaß eine Kopfnische und war mit Kalksteinplatten abgedeckt worden.
Bild 6
Das geöffnete Kopfnischengrab im Kreuzgang des frühromanischen Domes. Hier war möglicherweise eine Frau bestattet worden.
Bild 7
Das Fundament der Westwand des frühromanischen Kreuzgangs besteht überwiegend aus rötlichen Sandsteinen und wurde nach der Aufgabe von zahlreichen Bestattungen zerschnitten.
Bild 8
In die Ecke zwischen der ehemaligen Ostwand der Klausur und dem Querhaus des Domes hatte man im späten Mittelalter einen kleinen eingetieften Baukörper eingestellt. Möglicherweise diente der Raum als Ossuarium (Beinhaus).
Bild 9
Ein Blick auf das Fundament des spätromanischen Querhauses an seiner Nordostecke. Es zeigt deutlich zwei Bauphasen, die den Bauablauf im 13. Jahrhundert widerspiegeln.
Bild 10
Überblick über die Grabungsfläche nördlich des Domquerhauses zum Ende der Untersuchungen.
Abbildungsnachweis:
Bild 1,3-5,7,10: Maurizio Paul, Halle/Saale
Bild 2;6,8,9: Holger Rode, LDA Halle/Saale